Von Colorado Springs nach Lake Havasu an einem Tag zu fahren ist für einen einzelnen Fahrer aufgrund der immensen Entfernungen unmöglich, also haben wir uns für die erste Etappe wieder Flagstaff als Ziel gesetzt – es gibt im Prinzip nur drei Routen nach Arizona, zwei davon kennen wir schon und die verbleibende wollen wir uns für den Rückweg aufheben. Also werden wir wieder über die Interstate 25 südlich bis nach Albuquerque und dann die I-40 westlich bis nach Flagstaff fahren, wobei insbesondere die Strecke bis nach Las Vegas in New Mexico sehr anstregend ist, weil man 259 Meilen (oder knapp 400 Kilometer) rechts die Rocky Mountains und links die Prärie sieht, ohne dass es viel Abwechslung gäbe. So meinte Tina dann auch nach 2 Stunden auf der I-25: “Hier ist gar nichts los”. Das ändert sich in Mexiko nicht wirklich, bis auf dass man eventuell eine Herde von Antilopen in den unendlichen Weiten entdecken kann.
Wir haben uns das Mittagessen geschenkt und sind dafür irgendwo zwischen Albuquerque und Gallup in New Mexico einfach mal vom Freeway runter und sind der historischen Route 66 gefolgt, die an dieser Stelle zwar einer Schotterpiste gleicht, durch ihre Einsamkeit und Weitläufigkeit aber auf jeden Fall auch ihren Reiz hat. Und wozu haben wir einen Allrad-Wagen gemietet, wenn nicht genau dafür? Jedenfalls sind wir heute morgen um 6:30 Uhr in Colorado Springs losgefahren und kamen total erschöpft um 19:00 Uhr in Flagstaff an, haben uns der Einfachheit halber wieder im Super8 Motel eingemietet, sind noch ganz kurz etwas essen gegangen um dann tot ins Bett zu fallen.
Nach sechstägiger Eingewöhnungszeit sollte es heute soweit sein: Wir haben uns Richards Truck für eine kleine Spazierfahrt ausgeliehen, taking our first ride in the Tempe hood. Es ist ja nicht so, dass wir nicht autofahren könnten, aber erstens ist unser “Auto” groß und durch seine Aufbauten extrem unübersichtlich und zum anderen muss man sich in den Vereinigten Staaten doch an einige Dinge im Straßenverkehr gewöhnen – so darf man beispielsweise zu jeder Zeit an einer roten Ampel rechts abbiegen, es sei denn es ist durch Schilder verboten. Hinzu kommt, dass selbst kleinere Nebenstraßen vierspurig ausgelegt sind und in der Mitte noch eine Extraspur für Linksabbieger bereit gehalten wird, dazu darf man in den USA sowohl rechts als auch links überholen, was einem europäischen Fahrer zusätzlich eine Menge Aufmerksamkeit abfordert – schliesslich rauschen ja auch noch mannigfaltige Eindrücke einer fremden Stadt an einem vorbei. Dafür sind die Strassen in einem Raster angelegt, dass einem nach Norden ausgerichteten Koordinatensystem entspricht – unser Truck hat im Rückspiegel eine Art Kompass, der einem permanent die Richtung anzeigt, in die man gerade fährt, was das Navigieren doch etwas einfacher macht. Wir waren wirklich aufgeregt, als wir in den Wagen kletterten um loszufahren, doch diese Nervosität ist dann ziemlich schnell in ein entspanntes Gefühl der Coolness umgeschlagen. In den Staaten sind im Straßenverkehr überhaupt alle ziemlich cool – es wird weder gerast, noch gehupt, man kann wirklich sagen, dass das Autofahren hier eine ziemlich entspannte Angelegenheit ist. Endlich mal ein Punkt, an dem die Amerikaner den Deutschen wirklich etwas voraus haben.
Was uns in diesem Zusammenhang auch aufgefallen ist: Obwohl in unmittelbarer Nähe unseres Hotels zwei Freeway verlaufen, die Strasse vor dem Hotel insgesamt sieben Spuren hat und die Amerikaner keine Autos fahren, die weniger als drei Liter Hubraum haben ist der Strassenverkehr kaum wahrzunehmen – es gibt keine röhrenden Auspuffanlagen und scheinbar scheint auch der Asphalt geräuscharm beschaffen zu sein, anders kann ich mir nicht erklären, dass ich noch niemals so viel Verkehr so leise erlebt habe.
Dank den ohrenbetäubenden Hörnern der Amtrak-Züge hat es uns um 6am aus dem Bett gehauen, draussen ist es bitterkalt, auf den Autos vor dem Hotel hat sich Eis gebildet – aber der Himmel in Flagstaff ist strahlend blau und die Sonne scheint, für Phoenix sind heute 33°C angesagt und so kochen wir uns auf unserem großzügigen Zimmer erstmal einen Kaffee und warten ab, bis Richard Lust auf Frühstück hat – schnell zwei Donuts und einen Kaffee reingezerrt und ausgecheckt, schon sitzen wir wieder im Truck und bekommen auf der Suche nach einem Postamt doch eine ganze Menge von Flagstaff zu sehen. Es ist ein kleiner (60.000 Einwohner) wunderschöner Bergort auf 2100m Höhe, mitten in Nadelwäldern gelegen, die sich malerisch durch die Stadt ziehen. Im Sommer lässt es sich hier sicher wundervoll leben, im Winter so hören wir gibt es hier für unseren Geschmack etwas zu viel Schnee *brrr* Unsere heutige Route beträgt zwar nur rund 150 Meilen, die werden es aber aufgrund der klimatischen Unterschiede zwischen Flagstaff und Phoenix sicher in sich haben. In dem Wissen, dass wir auf dem Rückweg das schöne Flagstaff wiedersehen werden, machen wir uns auf der Interstate 17 in südlicher Richtung auf den Weg, down to the Valley of the Sun, wie man die Gegend um Phoenix auch nennt. Die Freeway führt eine ganze Weile durch den Sitegreaves National Forest, tolle Nadelwälder, die zum Wandern einladen.
Der Freeway führt plötzlich eine kleine Kuppe hinauf, rechts steht ein Schild “Scenic View” und wir bitten Richard, doch an diesem Aussichtspunkt einmal anzuhalten, der Truck rollt auf die Schotterpiste abseits der Strasse und vor uns tut sich ein Tal auf, dass einem ohne Übertreibung den Atem stocken lässt. Wir schnappen unsere Kameras, steigen aus dem klimatisierten Auto und bekommen erstmal leichte Kreislaufprobleme, denn die kühle Morgenluft von Flagstaff ist einer aufkommenden Hitze gewichen, die ahnen lässt, wohin wir fahren.
Ab diesem Punkt führt der Freeway über Meilen und Meilen mit einem Gefälle von 6% bergab und mit jedem Meter, dem wir dem Meeresspiegel näher kommen, ändert sich draußen die Vegetation. Sieht man zunächst nur vereinzeilt kleine Kakteen an den felsigen Hängen stehen, so sind die Hänge kurze Zeit später schon übersät mit dem meterhohen Organ Pipe Cactus – ein klarer Indikator, dass wir wieder in der Wüste sind. Und kaum, dass wir in der ebenenen Wüste sind, baut sich der Freeway zu einem achtspurigen Asphaltband auf – es ist nicht zu übersehen, dass wir uns der fünftgrößten Stadt der Vereinigten Staaten nähern. Das Valley of the Sun stellt einen der 13 größten und gleichzeitig am schnellsten wachsenden städtischen US-amerikanischen Großräume dar und entsprechend gross ist die Entfernung bis zum Mittelpunkt dieses Ballungsraums. Die Kakteen sind ab hier den von Menschenhand gepflanzten Palmen gewichen. Wir haben nur wenig Mühe unser Hotel in Tempe zu finden – Tempe ist zwar eine eigene Stadt im Maricopa County, aber die Grenzen zwischen Phoenix und den angrenzenden Städten wie Scottsdale, Glendale, Tempe und Chandler sind fliessend. Verkehr, wo man nur hinschaut, mehrspurige Freeways kreuzen sich, führen übereinander, Flugzeuge kreuzen in geringer Höhe – so muss Megapolis aussehen.
Es ist Freitag nachmittag, wir haben nach 850 Meilen unser Etappenziel erreicht und unseren Termin eingehalten. Ab jetzt ist Business angesagt – wir treffen gemeinsam mit Richard zuerst Geschäftspartner in Scottsdale, danach steht noch ein Meeting der besonderen Art an… wir werden bis Dienstag in Tempe bleiben und ganz sicher reicht diese Zeit noch nicht einmal aus, um sich auch nur einen groben Überblick zu verschaffen – leider. Das Klima entspricht jedenfalls unseren Vorstellungen – es ist immerhin Ende Oktober und für die kommenden sieben Tage sind Sonnenschein bei jeweils über 30°C angesagt…. sonnige Grüße nach Deutschland an dieser Stelle *fg
Früh sollte es heute losgehen, schliesslich wollen wir auf dieser Route unserem Ziel Phoenix so weit wir möglich näher kommen, und so sind wir um 5:30 am aufgestanden. Der Wettergott scheint uns gnädig zu sein, es hat aufgehört zu schneien auch wenn es in den Morgenstunden noch empfindlich kalt ist. Damit wir schnell auf den Freeway kommen, haben wir auf das Frühstück verzichtet und den Truck beladen – bei Richards Filmausrüstung kann das eine Weile dauern. Als Frühstück nehmen wir schnell einen Grande Latte bei Starbucks im Safeway, dazu ein Stück wirklich guten Zitronenkuchen und schon sind wir auf der Interstate 25 Richtung Süden unterwegs. Doch je weiter südlich wir kommen, vorbei an Orten wie Pueblo und Trinidad, desto weißer wird die Prärie… es hat hier draußen massig geschneit und der Schnee ist liegengeblieben, ca. 10cm bedecken die weiten Flächen und so wird es bis zur Grenze von New Mexiko auch bleiben. Wie gut, dass wir Schneeketten und eine Schaufel mit auf dem Truck haben, denn die Staatsgrenze zwischen Colorado und New Mexiko liegt mitten auf einem Pass in 7800 Fuss (2377 Meter) Höhe und wir erwarten dort das Schlimmste. Zum Glück aber bleibt uns das Schlimmste erspart, ganz im Gegenteil – kaum haben wir den Paß hinter uns gelassen liegt auch kein Schnee mehr. Mit der Staatsgrenze hat sich für uns auch die Optik komplett gewandelt, das Weiß ist einem kräftigen Gelb gewichen und die optische Außentemperatur steigt gleich mal um zwanzig Grad – obwohl es noch immer eisig kalt ist.
Es tun sich endlos weite Flächen auf, links und rechts der Strasse ist nur Prärie die am Horizont von Bergen gesäumt ist. Ein Koyote sprintet vor unserem Truck über die Strasse, vereinzelt grasen Rinder in der Steppe. Wir halten auf einem der spärlich gesäten Rest Areas (Rastplätze) und bestaunen wieder einmal die Sauberkeit öffentlicher Einrichtungen in den USA. Die Toiletten deutscher Autobahnparkplätze kann man ja wirklich nur in der allergrößten Not aufsuchen, hier in den USA ist es ein Vergnügen, sich in die sauberen Örtchen zu begeben.
Wir passieren Las Vegas, aber nicht DAS Las Vegas sondern einen winzigen Ort gleich Namens in New Mexico, nehmen dann unser Mittagessen in Form von Fastfood in Santa Fe ein, dessen Name spektakulärer klingt als die Stadt wirklich ist, und nähern uns der Hauptstadt des Bundesstaates New Mexico, Albuquerque, wo wir prompt erleben, wie belebt es am frühen Nachmittags auf einem amerikanischen Freeway mit immerhin 4 Spuren in jede Richtung zugehen kann. Es wird Zeit auf die Interstate 40 in Richtung Westen zu zu wechseln, ab hier ist man teilweise annähernd auf dem Streckenverlauf der legendären Route 66 unterwegs und es kommt doch so ein gewisses Easy-Rider-Gefühl auf. Mittlerweile haben wir auch die Annehmlichkeiten US-amerikanischer Autos schätzen gelernt – Dosenhalter sind eine grandiose Erfindung wenn man stundenlang mitten im Nirgendwo unterwegs ist.
Mittlerweile ist später Nachmittag und wir fahren schon eine gute Stunde an beeindruckenden roten Klippen entlang, Steilwände die aussehen als hätten sie Menschen als Steinbrüche gedient – dem ist aber nicht so, vielmehr hat die Natur hier wahre Wunder vollbracht.
Die Sonne steht tief am Horizont als wir die Staatsgrenze nach Arizona erreichen, ein Schild mit der Aufschrift “The Grand Canyon State welcomes you” lässt das Herz höher schlagen. Wieder ändert sich die Szenerie schlagartig, vor uns liegen riesige endlose Weiten. Wie endlos sie sind fällt mir auf, als ich feststelle, dass ich seit einer guten halben Stunde in der Ferne Windräder sehen kann, die nicht näher zu kommen scheinen, obwohl wir mit 75mph auf sie zuhalten. Die Sonne geht langsam unter und taucht den Himmel mit seinen Wolken in dieses unbeschreibliche Farbenspiel aus allen erdenklichen Rot-Tönen. “Voll das Klischee” denke ich mir wieder einmal, muss aber sofort zugeben, dass diesem Klischee eine atemberaubende und beeindruckende Schönheit innewohnt.
Da es nun mittlerweile dunkel ist, können wir nur ahnen dass die Landschaft sich von Wüste hin zu Pinienwäldern ändert, während wir den Anstieg nach Flagstaff bewältigen. Es ist 7:50pm als wir dort ankommen und das nächstbeste Hotel ansteuern – wir waren nun 13 Stunden unterwegs und haben 700 Meilen zurückgelegt, da stört es nur marginal, dass direkt vor unserem Hotel eine Amtrak-Bahnlinie entlangführt, deren Züge mit markerschütterndem Horngebrüll ihr Kommen ankündigen. Wir gehen noch einige Meter auf der Route 66 spazieren um zum Restaurant Sizzler zu kommen, schnell ein gutes Steak eingeworfen und dann liegen wir auch schon totmüde in den Betten.
Leider ist unser Zeitplan wegen Terminen in Phoenix so knapp bemessen, dass wir auf dieser Etappe nur wenig Gelegenheit hatten, unter der Oberfläche zu kratzen – auf der anderen Seite gibt es auf dem ganzen Weg endlos viel Nichts, schliesslich sind Santa Fe und Albuquerque die einzigsten grösseren Städte, die auf 1120km zu finden. Solche Touren sind für Amerikaner nichts besonderes, als Europäer sollte man schon wirklich ein Ironbutt sein um sich das zu geben…. jetzt gönnen wir unseren Hintern ein wenig Entspannung und sind schon tierisch auf das erste richtige amerikanische Frühstück in einem Hotel gespannt….